Montag, 27. Februar 2017

Wie sich mein Leben verändert hat


Wo soll ich da beginnen? In den letzten Monaten hat sich mein Zustand geändert. Ich kann mittlerweile nicht mehr sagen, ob sich etwas bzw. was sich verschlechtert hat. Gebessert hat sich - nichts.

Mittlerweile machen mir die Gerüche im Haus mehr und mehr zu schaffen. Ich habe vor die Wohnungstür (innen) Säcke gestellt (nicht ausdünstende Müllsäcke), in denen mein Lebensgefährte seine Draußen-Klamotten aufbewahrt, damit der Gestank aus dem Hausflur nicht so extrem in die Wohnung zieht - das ist natürlich ein hoffnungsloses Unterfangen in einem belebten Mietshaus. Noch dazu neben einer Nachbarin, die sich dermaßen einparfümiert, das man ihren Gestank stundenlang im gesamten Hausflur riechen kann. An Weihnachten (2016) waren mehrere ihrer Tussi-Bekannten da (es tut mir leid, ich kann diesen Personenkreis nicht anders bezeichnen), alle eingesprüht bis Unterkante Oberlippe. Leider mußte mein Lebensgefährte an diesem Tag noch einmal einkaufen gehen - der Gestank raubte mir wortwörtlich die Sinne. Hätte ich mir nicht vorsichtshalber (da ich den Radau auf dem Flur schon unten an der Eingangstür hatte
hören können) schon mein Hemdchen vor Mund und Nase gehalten, Nase dabei zugepresst, flach geatmet, als ich das Bad aufsuchen mußte, dann wäre ich vermutlich umgekippt von diesem widerlich stinkenden Gift-Cocktail, der wirklich vor keinem Türspalt Halt macht. Ich bekam Atemnot, Schwindel, Übelkeit und heftigen Magendruck, Würgereiz, Atemwegsreizungen, Gesichtsschmerz, Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Nervenzittern, Nervenschmerzen... das Übliche in solch Situationen mit hohen Expositionen. Ich bin stundenlang nur noch mit vorgehaltenem Shirt aufs Klo - und das Hinterlistige ist, das ich umso öfter pullern muss, je mehr ich solchen Giften ausgesetzt bin und je höher die Exposition ist. Also alle 20-30 Minuten zwangsläufig wieder aus dem einigermaßen sicheren Wohnzimmer ab ins verseuchte Bad...

Die Nachbarin ist jedenfalls so laut, das man sie mit ihrem Schuhgetrampel gut hören kann - und dem unweigerlichen Türgeknalle. Manchmal verläßt sie ihre Wohnung und kommt binnen weniger Minuten noch 3-4 Mal zurück, weil sie vermutlich ihr Hirn irgendwo sucht. Dabei hinterläßt die gute Frau jedesmal wieder ihre Duftmarke im gesamten Treppenhaus - und leider auch in meiner Wohnung.

In solchen Momenten verzieh ich mich mit Nase und Mund unter meine Decke.

  Jeder "Besuch" der Reinemachefrau bei uns im Haus ist natürlich ebenfalls ein Alptraum. Das ist dann "nur" ein Mal die Woche, das reicht mir schon. Es ist unmöglich noch normal zu atmen in der kleinen Bude hier, da mein Wohnungsflur alle Zimmer miteinander verbindet und man gezwungen ist, jedesmal wieder den verseuchten Flur zu betreten, um in einen anderen Raum zu gelangen. Solange es noch kühl draußen ist, kann ich in der Küche das Fenster ganz aufreißen - das geht zum Hinterhof raus, da ist der Gestank der Hauptverkehrsstraße (Wohnzimmer) nicht so extrem. Dennoch dauert es Stunden, bis die Luft wieder einigermaßen (!) ihren normalen Geruch zurück erhält. Sie hat wie's scheint auch das Reinigungmittel gewechselt. Der Gestank ist unerträglich! Ein beißender Geruch, pure Chemie. Symptome: volle Palette, da gibt es kein Entkommen. Man kann die gute Frau natürlich ebenfalls (wie die rücksichtsvolle Nachbarin) durchs ganze Haus hören. Mein "Glück"! So trifft mich das Gift, das sich überaus schnell durch die Luft verbreitet und das jeder schön einatmen kann, nicht ganz unvorbereitet. Ändern tut das nichts, ist ja klar. Aber ich weiß wenigstens in diesen Momenten woher das kommt, all die Symptome.

Anders ist es da natürlich dann mit Expositionen, die ich nicht "einplanen" kann - und das sind ja so gut wie alle. Jeder MCS-Erkrankte weiß, wovon ich rede. Wie soll man auch etwas kontrollieren, das man nicht sehen, nicht ahnen kann, nicht im Voraus schon weiß? Lüften - Alptraum jedes Erkrankten in der Innenstadt, noch schlimmer an den Hauptverkehrsstraßen. Allein die Busse (hmm lecker, Diesel), die alle 10 Minuten hier vorbeifahren - alle 15 Minuten dann "nur" noch nach 20 Uhr... die zwingen mich in die Knie. Ich kombiniere das Lüften mit dem Zähneputzen, das mir ebenfalls immer schwerer fällt. Ich putze seit mehr als einem Jahr (ui, ich glaube es sind jetzt schon 1 1/4 Jahre) nur noch so, mit Wasser. Alles andere geht nicht. Jedenfalls lüfte ich die paar Minuten, wenn ich ins Bad gehe und dann ins Schlafzimmer, um meine Schilddrüsen-Tabletten vorzubereiten. Und mein Lebensgefährte lüftet morgens, wenn ich aufstehe, die paar Minuten, die ich im Bad zum Abduschen brauche (auch nur Wasser, sonst nichts). Das wars mit "Frischluft". Lieber sitze ich hier im Mief, als das ich mir den Gestank der Außenwelt zumute! An die Raumluft hier, an den Geruch, habe ich mich gewöhnt und es macht mir nichts mehr aus. Im Gegenteil. Seit ich das ständige Lüften abgestellt habe, erleide ich kaum noch die ständigen kleineren, dennoch extrem heftigen Anfälle.

Und sonst? Wie hat sich mein Leben verändert? Im Gegensatz zu früher, vor der SD-OP... damit brauche ich gar nicht anfangen! Kann man alles hier nachlesen. Meine Welt ist ganz klein geworden. Der Optimist würde sagen: "Eine kleine Welt, schön! Die ist so überschaubar!" Der Ignorant sagt das auch. Realistisch betrachtet ist es ganz einfach so: die Isolation hat mich fest im Griff, und wenn ich nicht an einen wirklich engagierten Arzt gerate (und damit habe ich schon mehr oder minder abgeschlossen), wird sich nichts mehr tun. Ich bin nicht die einzige MCS-Erkrankte, der es so ergeht. Ich lese immer wieder davon. Noch habe ich den PC, um mich mitteilen zu können. Viele haben nicht mal mehr das. Die Gifte sitzen überall, die Unverträglichkeiten und Allergien nehmen zu, irgendwann verträgt man das eben alles nicht mehr. Nach und nach, Schritt für Schritt, ist man alleine, hat nur noch sich.

Sich... und die endlosen Gedanken. Wut und Verzweiflung, Traurigkeit, Hass und Depressionen wechseln sich im Minutentakt ab. Manchmal gibt es richtig schlechte Tage. Und manchmal gibt es Tage, die nicht ganz so schlecht sind. Dazwischen ist nichts mehr.

Ich bin froh, das ich wenigstens noch meinen Humor habe. Mir selber Aufgaben schaffe. Meine kleine Prise Zynismus noch hin und wieder in mir spüren kann. Das mein Kopf noch funktioniert - so, wie er soll. Darüber bin ich froh, erleichtert, dankbar.

Mein Leben hat sich verändert, am 03.09.2013. Ich konnte es damals schon spüren, noch ehe ich in den OP geschoben wurde. Ich wollte weg von da, wollte nicht narkotisiert werden, wollte von der Trage springen. Es war, als hätte ich ahnen können, das etwas Schreckliches passieren wird. Aber damit habe ich nicht gerechnet: ich habe nicht an MCS gedacht. Die Hölle auf Erden.

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